Für alle, die sich das Gutachten noch nicht in aller Tiefe durchlesen konnten, hier ein Überblick über die zentralen Inhalte. Außerdem ein Vorgeschmack auf die Illustrationen von Ka Schmitz[1] / Imke Schmidt-Sári[2], von denen in der bald erscheinenden Zusammenfassung mehr zu sehen sein wird.
In jeder Legislaturperiode legt die Bundesregierung einen Bericht zur Gleichstellung von Frauen und Männern vor. Diese Gleichstellungsberichte bestehen jeweils aus dem Gutachten einer unabhängigen Sachverständigenkommission und der Stellungnahme der Bundesregierung zu den Empfehlungen der Sachverständigen. Zur Stellungnahme der Bundesregierung gehört zudem eine Bilanz zur Umsetzung des vorangegangenen Gleichstellungsberichtes (Hintergrundinformationen zu den Gleichstellungsberichten[3])
Eine Kommission aus elf Sachverständigen[4] unter der Leitung von Prof. Dr. Aysel Yollu-Tok hat in den vergangenen zwei Jahren das Gutachten für den Dritten Gleichstellungsbericht erarbeitet und Bundesgleichstellungsministerin Franziska Giffey am 26. Januar 2021 übergeben[5].
Das Gutachten für den Dritten Gleichstellungsbericht[6] trägt den Titel „Digitalisierung geschlechtergerecht gestalten“. Der Berichtsauftrag der Bundesregierung lautete: „Welche Weichenstellungen sind erforderlich, um die Entwicklungen in der digitalen Wirtschaft so zu gestalten, dass Frauen und Männer gleiche Verwirklichungschancen haben?“
Die Analysen und Handlungsempfehlungen beziehen sich auf verschiedene Bereiche, in denen die Digitalisierung relevant ist. Die Sachverständigenkommission strukturiert sie entlang eines „Zwiebelmodells“: Von der Digitalbranche als Treiberin der Digitalisierung im Innern der Zwiebel, über die digitale Wirtschaft – beispielsweise die Plattformökonomie – und die digitalisierte Wirtschaft bis hin zur äußeren Zwiebelschicht der Digitalisierung der Gesellschaft, in der Phänomene wie Soziale Medien und geschlechtsbezogene digitale Gewalt betrachtet werden. Dazu kommt ein Blick auf gleichstellungspolitische Strukturen und Instrumente als „Nährboden“ für eine gleichstellungsorientierte Gestaltung der Digitalisierung in den einzelnen Zwiebelschichten.
Leitbild der Sachverständigenkommission ist eine Gesellschaft mit gleichen Verwirklichungschancen für alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht.
Das Gutachten nimmt eine durchgängig soziotechnische Perspektive ein. Dies bedeutet, technologische Entwicklungen immer im jeweiligen gesellschaftlichen Kontext zu betrachten, zu beurteilen und aktiv zu gestalten. Geschlechtergerechtigkeit spielt hier in Bezug auf Zugang zu sowie Nutzung und Gestaltung von Digitalisierungsprozessen eine zentrale Rolle.
Im Inneren der Zwiebel liegt die Digitalbranche, oft auch als Informations- und Kommunikationstechnologie bezeichnet. Hier werden digitale Technologien produziert, also Güter wie Computerhardware und -software und Netzwerkinfrastruktur.
Die Digitalbranche ist nach wie vor stark männlich geprägt. Hier arbeiten über 80 Prozent Männer (durchschnittlich 17 Prozent Frauen). Frauen steigen selten ins (Top)-Management auf und sie verlassen die Branche deutlich häufiger wieder als Männer. Auch bei Gründungen in der Digitalbranche ist der Frauenanteil gering.
Die Digitalbranche ist die „Treiberin“ der Digitalisierung. Mit der hier entwickelten Technik entscheidet sich maßgeblich, wie sich die Digitalisierung gestaltet.
Die digitale Wirtschaft umfasst die Tätigkeiten und Geschäftsmodelle, die erst durch die in der Digitalbranche produzierten Technologien möglich geworden sind, beispielsweise die Plattformökonomie, mit ihr gehen neue Formen der Arbeit einher. Beispiele sind online buchbare Fahr- oder Essenslieferdienste oder online vermittelte Mikrojobs, wie das Verfassen von Texten.
Plattformarbeit bietet – aus Sicht der Arbeitenden – anscheinend einige Vorteile: Die Arbeit ist zeitlich flexibel zu erledigen und oftmals nicht an einen konkreten Ort gebunden. Damit erleichtert sie potentiell die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Sorgearbeit, z.B. beim Wiedereinstieg in den Beruf. Im Gutachten wird auch auf Probleme der Plattformarbeit hingewiesen. Zum Beispiel werden die Arbeitenden üblicherweise als Soloselbständige und nicht als Beschäftigte eingeordnet. Daher fehlt es ihnen häufig an einer sozialen Absicherung. Durch die prekäre Situation der Plattformarbeiter*innen verschärfen sich außerdem Risiken wie niedrige Einkommen, Gewalterfahrungen und sexuelle Belästigung. Zudem erhalten sie kein Arbeitszeugnis.
Die digitalisierte Wirtschaft umfasst alle wirtschaftlichen Aktivitäten, in denen Informations- und Kommunikationstechnologien genutzt werden, und die sich durch diese verändern. Beispiele sind digitales Lagermanagement, Selbstbedienungskassen in Supermärkten oder elektronische Dokumentationssysteme in der Pflege.
Die Digitalisierung des Arbeitsmarktes kann eine Chance sein, geschlechtsunabhängige Verwirklichungschancen für alle zu erreichen. Methoden geschlechtergerechter Arbeitsbewertung sind dafür ein Schlüssel, wenn sie systematisch und verpflichtend zum Einsatz kommen.
Damit Menschen in der zunehmend digitalisierten Gesellschaft zurechtkommen und diese aktiv mitgestalten können, benötigen sie mehr digitalisierungsbezogene Kompetenzen. Dazu gehören beispielsweise die Fähigkeit, Informationen im Netz suchen und diese hinsichtlich ihrer Seriosität und Glaubwürdigkeit einordnen zu können, Kenntnisse über Kommunikation, Kooperation und Funktionsweisen politischer Teilhabe über digitale Kanäle, die Produktion von digitalen Audio- und Videoformaten, ein grundlegendes Verständnis der Funktionsweise, Programmierung und Grenzen informationstechnischer Systeme sowie der Regeln des Daten- und Persönlichkeitsschutzes.
Neue Methoden, wie beispielsweise der Einsatz von Algorithmen in der Personalauswahl, gehen mit erheblichen Diskriminierungsrisiken einher. Die Funktionsweise von Systemen, die Personalentscheidungen unterstützen sollen, ist schwer überprüfbar: Welche Kriterien entscheiden etwa, wenn ein System eine Bewerbung automatisch aussortiert oder welchen Personen Stellenanzeigen auf Sozialen Medien gezielt gezeigt werden?
Möglichkeiten, aber auch Risiken Mobiler Arbeit müssen differenziert betrachtet werden. Durch die Entgrenzung von Erwerbs- und Sorgearbeit dürfen sich bestehende Geschlechterungleichheiten nicht noch verstärken.
Mit der Digitalisierung der Gesellschaft erweitert die Sachverständigenkommission ihren Blick über die Wirtschaft hinaus, denn digitale Technologien durchdringen das gesamte gesellschaftliche Leben.
Soziale Medien sind ein relativ neues, stark wachsendes und dennoch wenig untersuchtes Phänomen. Sie bilden nicht die reale Vielfalt der Menschen ab, sondern transportieren größtenteils Geschlechterstereotypen.
Geschlechtsbezogene digitale Gewalt kommt in allen gesellschaftlichen Bereichen vor und geht weit über Gewalt in den Sozialen Medien hinaus. Viele Formen bzw. Instrumente, mit denen geschlechtsbezogene Gewalt ausgeübt wird, wurden erst mit der Digitalisierung möglich. Zu denken ist hier beispielsweise an Stalking Apps. Daher kann von einer neuen Qualität der Gewalt gesprochen werden, die neue Herausforderungen mit sich bringt.
Datenschutz- und Kommunikationsgrundrechte sollen gewährleisten, dass alle Menschen unabhängig vom Geschlecht gleichermaßen am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Die Nutzung persönlicher Daten darf nicht zu (geschlechtsbezogenen) Diskriminierungen führen. Der Staat ist verpflichtet, vor Benachteiligungen durch Private zu schützen.
Gleichstellungspolitische Strukturen und Instrumente schaffen Rahmenbedingungen für die tatsächliche Durchsetzung gleicher Verwirklichungschancen. Dies gilt auch im Kontext der Digitalisierung. In diesem Sinne stellen sie den „Nährboden“ dar, der die „Zwiebel“ einer geschlechtergerechten Gestaltung der Digitalisierung versorgt.
Der digitale Transformationsprozess wirkt sich auf das Leben der Menschen aus, Fragen bestehender Geschlechterungleichheiten stellen sich neu und anders. Die Verwirklichungschancen aller Menschen in diesem Prozess zu fördern, ist eine dringliche und herausfordernde Aufgabe. Bestehende gleichstellungspolitische Instrumente und Strukturen müssen daher effektiv genutzt und ggf. angepasst werden. Zu ihnen gehören: ressortübergreifende Strategien, Gender Budgeting oder gleichstellungsorientierte Gesetzes- und Technikfolgenabschätzungen sowie Institutionen, die den Transfer von Wissen über Gleichstellung unterstützen. Die Sachverständigenkommission empfiehlt daher u.a.: